An der argentinischen Grenze werden wir von einem unfreundlichen Einweiser nicht nur zum Stempeln, sondern auch zum Zoll geschickt. Das mussten wir noch nie. Womit wollen Sie uns denn jetzt schikanieren, fragen wir uns? Wahrscheinlich wollen sie unsere Räder in den Pass eintragen, so ein Mist, dann können wir sie nicht verkaufen. Toto sagt, geh du hin und lächle den Grenzer an und tu so als verstehst du nichts. Gesagt, getan. Hola, sage ich, und setze mein hilflosestes Lächeln auf und lege unsere Pässe auf den Tisch. Aha, deutsch, sagt der Zollbeamte auf deutsch! Der Plan geht wohl nicht auf… Er ist dann sehr freundlich. Sein Großvater sei deutsch gewesen, er fragt wie wir her gekommen sind und sagt wir könnten dann jetzt gehen. Stutzig machen uns aber die Poster, wonach man tatsächlich nicht nur jedes neue, sondern auch gebrauchte Elektrogerät und Möbelstück aus Chile angeben muss, damit der argentinische Staat über prozentuale Einfuhrzölle wieder an Devisen kommt. Vor dem Grenzhäuschen steht eine Mountainbike-Gruppe zur Abfahrt nach Chile bereit. Ob ihnen klar ist, dass sie da eine Tour durch 20km Baustelle gebucht haben ohne Alternativtrail?
Für uns geht es jetzt vorbei ganz nah an der Flanke des Lanins. Das wär schon was, da hochzusteigen, sagt Toto halb im Scherz. Eigentlich wollten wir ja auf den ca. 1500 Meter niedrigeren Vulkan Villarica in Chile, aber bei Preisen von ca. 100 $ pro Person und mit täglich ca. 500 Touristen auf dem Kraterrand war uns das dann doch zu bunt. Wir erkundigen uns am Campingplatz des Nationalparks über den Lanin: Aufstieg bis zum ersten Refugio möglich, danach nur mit Guide. Wir entscheiden uns gegen den überfüllten Campingplatz für 50 Peso p.P. ohne Duschen und campen 5km später wild, idyllisch am Fluss, Bad inklusive. Auch einige Angler tummeln sich noch am Fluss. Ob Angeln hier im Nationalpark erlaubt ist? Angeblich angeln hier alle „catch-and-release“, aber ob man die fangfrische Forelle dann tatsächlich zurückwirft?
Lanin
Am nächsten Tag geht es auf einem gemütlichen downhill zur Hauptstraße und dann noch 20km mit Gegenwind bis nach Junin de los Andes, wo wir am frühen Mittag ankommen. Wir checken in einen idyllischen Campingplatz auf einer Flussinsel ein. Toto verbringt den Nachmittag mit seiner Angel im Fluss – doch wieder kein Forellenglück. Junin de los Andes ist eine sehr nette, authentische Kleinstadt, die vor allem für ihre Angelreviere bekannt ist und daher einen eher ruhigen Tourismus anbietet – ganz im Gegensatz zu ihrem großen Nachbarn San Martín, wo es vor Touranbietern, Skiresorts und Events nur so wimmelt. Am Abend gehen wir aus Interesse zum einzigen Ausrüster der Stadt, der auch geführte Touren auf den Lanin anbietet. 3.500 Pesos, rund 270 Dollar p.P. kostet der Spaß, puh! Außerdem hat er gerade keinen Guide, erst wieder in vier Tagen. Aber ihr könnt da auch ohne Probleme ohne Guide hoch, wenn ihr nicht zum ersten Mal einen Rucksack aufhattet und einer von euch schon einmal Steigeisen anhatte, sagt der Ausstatter. Toto gibt zu bedenken, dass er nur als Kind mal über einen flachen Schweitzer Gletscher gestapft ist, sicherlich nicht mit dem Lanin zu vergleichen. Alles kein Problem, sagt der Typ. Etwas skeptisch schauen wir ihn an, ist er auf unsere Organe scharf? Naja, andererseits mit dem Guide würde er viel mehr Geld machen, als wenn er uns jetzt nur die Ausrüstung leiht für 50 Dollar p.P. Wir lassen es uns den Abend durch den Kopf gehen und lassen uns schließlich überzeugen, dass die Laninbesteigung nur „ein Spaziergang“ ist, wie er sagt. Ein Express-Youtube-Kurs vermittelt uns dann am Abend auch noch den gekonnten Umgang mit Steigeisen, Verhalten auf Gletschern und die Technik den freien Fall/Rutsch per Eisaxt zu stoppen. Alles klar also…
wieder beißt nichts
Am nächsten Tag holen wir die Ausrüstung ab (wir kriegen sogar noch eine Stirnlampe und wasserdichte Überhandschuhe umsonst), lagern unsere Räder in einem Container am Campingplatz ein und nehmen am späten Nachmittag den Bus hoch zum Camping an der Hauptstraße.
Der Aufstieg dauert zwei Tage. Am ersten Tag steigt man entspannte fünf Stunden bis zum ersten oder zweiten Refugio auf, um dann am nächsten Tag den Gipfel zu erklimmen und wieder komplett abzusteigen. Wir erhoffen uns schon am Abend einen Platz im höher gelegenen CAJA Refugio sichern zu können. Das bedeutet eine Zeit- und Kräfteersparniss von einer Stunde für den zweiten Tag. Doch die mäßig sympathische Parkrangerin erklärt uns, es geht danach wer am Aufstiegstag zuerst da ist – Registrierung ist also erst morgen um 8 Uhr möglich. Aha, wir sind doch aber zuerst da?! Weiter weigert sie sich auch schon heute unsere Ausrüstung zu überprüfen – nein, morgen um 8 Uhr morgens. Wenn sie jetzt schon mal einen Blick drauf werfen würde, hätten wir noch Zeit, nochmal zurück zu fahren und ggf. fehlende Ausrüstung zu ergänzen, aber nein… oh man.
Lago Tromen
Abends am Lago Tromen
So checken wir am Camping ein, stärken uns mit 500 g Nudeln für die nächsten Tage und machen noch einen abendlichen Spaziergang zum Lago Tromen. Der Lanin leuchtet magisch und drohend zugleich auf der anderen Talseite. Ewig kann ich nicht einschlafen, da der Wind so im Blätterdach heult, dass ich jedesmal wenn ich die Augen schließe uns sehe, wie wir vom Berg geweht werden. Dank Ohropax schlafe ich dann aber doch irgendwann ein. Am nächsten Morgen stehen wir pünktlich um viertel vor 8 vor dem noch geschlossenen Parkbüro. Bis zum Abschluss unsere Registrierung kommt dann auch tatsächlich kein anderer Wanderer! Zum Glück ist ein anderer Parkranger da als gestern, der deutlich netter ist. Er kontrolliert und überprüft Steigeisen, Eisaxt, Helm und Funkgerät. Er schärft uns ein uns zu melden wenn wir am Refugio ankommen und nochmal nach dem Wetter zu fragen. Am nächsten Tag sollen wir ab 3000 Meter Höhe das Funkgerät angeschaltet lassen, damit eventuelle Wanderer über uns uns vor Steinschlag warnen können bzw. wir die unter uns. Außerdem müssen wir uns dann am Gipfel wieder beim Parkbüro melden und wenn wir wieder am Refugio sind. Er warnt, dass es zu dieser Jahreszeit viel anstrengender wäre als sonst zum Gipfel zu kommen, da so wenig Eis und Schnee läge und man sich daher durch viel Geröll und tiefe Lavaasche hocharbeiten müsse.
Langsam und gemächlich beginnen wir den Aufstieg zum 1. Refugio, um uns nicht heute schon zu verausgaben. Der Weg ist erstaunlich gut, man sinkt kaum in der Lavaasche ein. Zwei Stunden machen wir Pause, unterhalten uns mit den argentinischen Tagestouristen und den zwei hier stationierten Soldaten. Sie betreiben ein kostenloses Militärrefugio und füllen unsere Wasserreserven nach – neben einem freundlichen Plausch. Widererwarten sitzen sie hier nicht um den Chilenen möglichst gut im Blick zu haben, sondern tatsächlich um verunglückte Bergsteiger möglichst schnell retten zu können und ab und zu steigt auch eine Gruppe Soldaten zu Trainingszwecken auf den Gipfel. Warum widmet sich die Bundeswehr nicht solchen positiv-sinnvollen Tätigkeiten? Es gibt hier oben sogar einen Hubschrauberlandeplatz. Soll uns das beruhigen oder eher beunruhigen?
noch etwas verkniffen beim Aufbruch
das Militär- und das Privat-Refugio.
Die letzte Stunde zum oberen CAJA (tatsächlich der ANDENverein) Refugio ist dann nochmal anstrengender, da hier die Lavaasche sehr tief ist. Nach drei Schritten nach oben, rutscht man wieder zwei runter. Am Refugio bricht gerade eine Gruppe Argentinier auf, die heute Morgen auf dem Gipfel waren, alles ganz easy, sagen sie und geben uns letzte Tipps zur Wegführung. Das erschöpfte Gesicht der einzigen Frau spricht eine andere Geschichte, aber sie sagt nichts – vermutlich, um uns nicht zu demotivieren.
Wir funken runter und erfahren dass das Wetter für morgen weiterhin super sein soll mit maximalen Windgeschwindigkeiten von 35 km/h, sehr gut also. Außerdem werden am nächsten Tag außer uns noch zwei geführte Gruppen zum Gipfel aufbrechen, die im unteren Refugio bleiben. Das heißt wir haben die Biwak-Schachtel tatsächlich für uns, herrlich! Für 10 Leute soll das Ding ausgelegt sein – das wäre aber auf jeden Fall sehr kuschelig!
der Blick nach oben
am CAJA angekommen
Den Nachmittag nutzen wir um im – zugegebenerweise schon sehr weichen – Schneefeld den Umgang mit Steigeisen und Eisaxt zu erlenen. Ist ganz easy – zum ersten Mal schnalle ich mir etwas unter die Füße, was einem mehr Halt gibt und einen nicht beschleunigt. Wie angenehm im Gegensatz zu ersten Versuchen mit Ski oder Inlinern! Dann erkunde ich noch den Weganfang, damit wir ihn morgen im Dunklen besser finden. Zur optimalen Aufbruchszeit wurden uns unterschiedliche Zeiten von 2 Uhr bis 4 Uhr genannt. Auf jeden Fall muss man vor 12 Uhr mittags den Gipfel verlassen, weil sonst das Eis zu weich wird. Da man ca. 6 Stunden von hier zum Gipfel brauchen soll, die geführten Touren unten um 3 starten und wir keine Lust haben unnötig viel im Dunkeln zu gehen, aber andererseits auch nicht die anderen Gruppen vor uns haben wollen, die Steine lostreten, entscheiden wir uns 4 Uhr anzupeilen. Den späten Nachmittag faulenzen wir lesend in der Sonne, begleitet von dem etwas beunruhigenden Grollen der ständig runterfliegenden, vom schmelzenden Eis freigegebenen Steine. Zum Glück sehen wir aber nur Steinschlag auf der steileren Ost-Flanke, die wir nördlich umgehen werden.
unser Schneefeld zum Üben
Der Andenkondor war schon oben
Wasserquelle am CAJA Refugium
Eiszapfen
der Berg ruft!
unser Privat-Refugio. Groß und klein – der Eindruck täuscht, wem welche Matte gehört!
Nach einem weiteren halben Kilogramm Nudeln und einem fantastischen Sonnenuntergang, bei welchem man den riesigen Schatten unsers Berges sieht, fallen wir sofort in einen tiefen Schlaf und erwachen mit dem Wecker um 3.30 Uhr tatsächlich recht erholt. Der gefürchtete Wind war ruhig diese Nacht und tatsächlich ist es nicht so eisig wie wir befürchtet hatten. Ein Blick über den Felsrand verrät, dass die Stirnlampenfraktion der beiden geführten Gruppen noch recht weit unten ist und wir noch reichlich Zeit haben zu frühstücken. Außerdem prangt ein unfassbarer Sternenhimmel über uns. Pünktlich als wir fertig sind, fallen dann zwei recht große Gruppen mit ihren guides ein. Besonders nett sind sie nicht, wie das bei geführten Gruppen oft der Fall ist. Einer stampft direkt in „Unser Refugio“ und breitet einen Schlafsack aus, eine Freundin ist müde, sagt er. Na gut, aufgeräumt haben wir jetzt hier nicht, damit muss sie wohl leben und bieten ihr unseren Schlafplatz an, damit sie wenigstens noch eine Isomatte hat.
und… schaffen wir’s hoch?
Lanin-Schatten
Zähneputzen mit Abendpanorama
Llaima in der Ferne
Abendlicht
Wir wissen, dass es von hier zwei Optionen gibt um zu starten. Entweder direkt auf Schneefeld oder noch ein bisschen durch Geröll und dann erst in den Schnee. Wir fragen wo sie lang gehen werden: Unser Guide wird uns sagen, wo wir lang gehen sollen. Aha. Na gut. Wir entscheiden uns über das Geröllfeld loszugehen, während die Gruppen sich noch ausruhen. Trotz der Dunkelheit ist der Weg halbwegs gut zu finden und hier unten gibt es auch immer wieder noch den ein oder anderen Wegmarkierungsstab. Auch der Gipfel und die Bergflanke sind gut zu erkennen, so dass wir keine Angst haben uns groß zu verlaufen.
Dann wird es aber auch schon bald ernst und es heißt Steigeisenanziehen, ab aufs Eis. Wir lassen es langsam angehen und gehen in Serpentinen hoch. Das Eis liegt mit vielen Mulden da, sodass man fast wie auf einer Treppe hochsteigen kann. Doch sind dafür oft große Schritte vonnöten, was recht anstrengend ist. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen wir am Ende des Eisfelds an und sehen, dass die erste Gruppe gerade unten losgeht. Für uns geht es nun anstrengend durch tiefen Sand weiter. Immer wieder kommen kleinere Schneefelder von 2-5 Metern für die es sich nicht lohnt die Steigeisen anzuziehen, sodass wir vorsichtig mit normalen Schuhen drüber stapfen. Langsam beginnt der Himmel im Osten rot zu glühen und der Bergrücken zeichnet sich davor zaubervoll ab, fantastisch! Nach ca. einer Stunde beschwerlichen Gehens, sehen wir plötzlich die andere Gruppe die so weit unter uns war, neben uns auftauchen – sie sind immer noch im Schnee. So ein Mist, wenn man sich weiter links gehalten hätte, hätte man wohl bis hier oben bequemer auf Schnee gehen können statt sich durch lockeren Lavaschutt hochzukämpfen. Es zahlt sich wohl doch aus einen ortskundigen Guide zu haben.
Morgendämmerung
Unser Vulkan raucht doch gar nicht…
Nach einem Plateau auf 3000 Meter, an dem wir unser Funkgerät einschalten, beginnt dann ein natürlicher Kanal – wie eine gigantische Halfpipe. Im Winter kann man den wohl bequem in der Mitte auf Schnee durchwandern, doch derzeit sammelt sich hier der ganze Steinschlag. Die Parkranger haben uns angewiesen uns am rechten Rand zu halten, was auch problemlos möglich ist. Hier gibt es auch wieder mehr Markierungen und der Weg ist recht eindeutig zu erkennen. Die andere Gruppe musste jetzt auch vom Schnee runter und ist wieder weit unter uns. Von der zweiten Gruppe keine Spur. Immer steiler geht es hinauf auf wechselndem Untergrund, tiefste Lavaasche, harter Felsen, Schnee und über einen gefrorenen Fluss, der rutschig-gefährlich zu umgehen ist.
Vorsichtig tasten wir uns vor, um keine Steine loszutreten. Der Wind ist ordentlich aufgefrischt und es ist jetzt sau kalt. Wir können es nicht erwarten, dass endlich die Sonne rauskommt. Der Villarica in der Ferne wird schon von den wärmenden Strahlen beleuchtet. Fantastisch wieder der Bergschatten des Lanin über dem dunstigen Land unter uns. Unser Proviant – Riegel und Schokolade – ist gefroren, man kann es kaum beißen. Um eine richtige Pause zu machen ist es zu kalt, selten finden wir mal eine windgeschützte Nische in der wir uns für zwei Minuten ausruhen, bis es zu kalt wird. Kurz vor dem Ende des Kanals kommt in der Mitte der einzige ca. fußballgroße Stein runter, den wir fallen sehen werden – „Piedra, Piedra!!“, rufen wir pflichtbewusst ins Funkgerät. Gracias, knackt es von unten zurück.
der frühe Wanderer ist als erster am Gipfel
Villarica glows
Gipfel in Wolken
Endlich ist die Sonne da!!! Leider ist sie noch nicht so intensiv wie wir uns das vorgestellt hatten. Weiter geht es nach oben, immer steiler, die Blicke bei unseren kurzen Pausen sind aber fantastisch. Die Vulkane Villarica, Llaima und zahlreiche weitere Gletscher auf der chilenischen Seite, der riesige Lago Tromen und ganz klein zu unseren Füßen die Refugios und das Nationalparkbüro im Tal. Von der steilen Flanke hier sieht unser steiler Aufstieg vom Camping zu den Refugios von gestern fast flach aus.
Glück (berg)auf
optimistisch
der Eisabbruch
Lago Tromen
Plötzlich sehen wir uns einem senkrechten 10 – 20 Meter hohen Eisabbruch gegenüber. Was nun? Nach einer Ewigkeit finden wir weiter rechts einen passablen Weg um dieses Hinderniss zu überwinden. Die einzige „Kletter“passage mit einigen hüfthohen Hindernissen. Dahinter werden wir von einem Eisfeld mit vielen kleinen spitzen Eistürmchen begrüßt, sodass wir wieder die Steigeisen anziehen. Langsam übermannt mich die Verzweiflung. Was tun wir hier eigentlich? Es ist nicht einzuschätzen, wann endlich dieser Gipfel kommt. Ist das überhaupt der Weg? Stehen wir gleich wieder vor einem Abbruch? Müssen wir alles wieder zurück? Mir ist schlecht! Und wir zum Teufel kommen wir hier eigentlich wieder runter? Ich bin so durch den Wind, dass ich es nicht schaffe meine Steigeisen zuzubinden. Toto unterstützt moralisch und mit zwei gekonnten Knoten. Leise vor mich hinjammernd steige ich das nicht enden wollende Eisfeld hoch. Warum geh ich hier überhaupt hoch? Ich bin so fertig, dass ich mich nichtmals freuen können werde, wenn – falls – ich jemals auf dem Gipfel ankomme.
Blick zum Refugio ins Tal
Laura unstoppable
Blick ins Tal
nach dem Abbruch
sehr steil ab 3500 Metern
wie weit noch???!!
Ich bin so in meine trüben Gedanken vertieft, dass ich beinah in Toto reinlaufe, der breitgrinsend da steht, den Rucksack abgestellt. Guck mal, der Gipfel! Wow! Ich renne die letzten Meter hoch! Welch Endorphinstoß! We made it!!! Der Gipfel! Wie cooool!!! Hahaha, mir ist nicht mehr schlecht, erschöpft bin ich auch nicht, wie toll – der Gipfel. Leider ist der Wind so stark und kalt, dass wir nur ein paar schnelle Fotos schießen und dann gleich wieder ein paar Meter zu einer Mulde absteigen, wo der Wind erträglicher ist, um dort den Gipfelsieg zu feiern. Da der argentinische Fernet uns nicht schmeckt feiern wir ganz ohne Alkohol. Die chilenische Seite hat sich inzwischen leider zugezogen, dafür liegen auf der argentinischen Seite die Hügel, Seen und Täler in Miniatur unter uns. Der Villarica hüllt sich in eine Wolkenkuppe, dafür ist der Llaima klar und majestätisch in der Ferne zu erkennen. Wie vereinbart, funken wir nach unten, dass wir es tatsächlich geschafft haben, kriegen aber erst beim dritten Mal eine verrauschte Antwort.
nur Fliegen ist schöner
Beim Abstieg über das Schneefeld kommt uns die erste Gruppe entgegen und beglückwünscht uns. Sie sind auch nicht mehr ganz frisch, einer rutscht aus und bleibt einfach liegen. Der Guide schaut ihn etwas genervt an und wartet bis er sich endlich wieder aufrichtet. Mit einer Mischung aus Skepsis und Belustigung mustert der Guide unsere Steigeisen. Die Gruppe stapft nur mit Wanderschuhen zum Gipfel. Anscheinend ist es übertrieben hier Steigeisen anzuziehen, naja, ich fühl mich sicherer mit den ins Eis gebohrten Dornen. Schade, dass sie zu spät sind, so bleibt es für uns beim Gipfel-Selfie.
bessere Wegkenntnis, weniger Kondition
unsere härtesten Verfolger
letzter Blick zum Gipfel
Beim Abstieg, haben wir dann etwas Schwierigkeiten den Weg über den Abbruch zu finden. Hier gibt es keinerlei Fahnen oder Markierungen mehr und tatsächlich finden wir diesmal nur einen noch weiteren, noch schlechteren Weg als beim Aufstieg. So müssen wir über steilen Schotter und verlieren ordentlich Zeit. Hier im Nebel herumzuirren wäre wirklich gefährlich, wir haben den Kanal und den richtigen Weg aber bis ins Tal direkt vor unseren Augen. Naja, wenigstens ist es diesmal in der Gewissheit, dass es das letzte Mal ist, dass wir darüber müssen. Bald hören wir auch schon den Funkspruch der anderen Gruppe, sie seien am Gipfel. Außerdem hätten sie noch zwei Gringos, die schon beim Abstieg sind, gesehen….
Zum ersten Mal machen wir nun bei schönstem wärmendem Sonnenschein eine längere Pause und flux steht schon wieder die Gipfelgruppe hinter uns – oh man, die kannten anscheinend den richtigen Weg! Da auch sie Pause machen beginnen wir dann als erste den Abstieg. In der Lavaasche geht das recht gut, man rutscht mehr oder weniger ohne eigens zutun langsam Richtung Tal. Kommt man aber aus dem Rhythmus der richtigen Fußbewegung, fällt man auf den Hintern. Tut nicht weh, nur aus irgendeinem Grund fängt mein Knie, was schon in El Chaltén Probleme gemacht hat, plötzlich dabei an zu schmerzen, obwohl ich da gar nicht drauf falle. So lasse ich es dann sehr langsam angehen. Ganz im Gegensatz zum zweiten guide der ersten Gruppe, der in einer Stein- und Gerölllawine wie beim Tiefschneefahren ins Tal wedelt und uns in einer Viertelstunde bestimmt 400 Höhenmeter zurücklässt.
Nach dem Kanal entscheiden wir uns für den gleichen Weg wie heute Morgen, also nicht schon gleich auf den Schnee zu gehen, wie die andere Gruppe es getan hat, da wir denken, dass das Eis wahrscheinlich schon recht weich ist. Nach einer Stunde Kampf im Geröllfeld kommen wir am Schnee an und sehen wie die andere Gruppe gerade beginnt auf dem Hintern das obere Schneefeld runterzurutschen. Die kennen aber auch alle Tricks!! Und daher kommen also diese geheimnisvollen Schleifspuren! Toto steigt gleich mit ein und rutscht auf der vorgefertigten Spur unseren Teil des Schneefelds runter. Während ich noch etwas skeptisch bin, da wir im Gegensatz zur Gruppe keinen Guide unten stehen haben der uns im Zweifel auffängt. Doch es scheint ganz gut kontrollierbar zu sein, sodass Toto mir für den zweiten Teil seine angeblich dichte Regenhose leiht und auch ich in den Genuss des schnellen Abstiegs komme. Naja, unsere beiden Hintern sind dann unten zwar trotzdem patschnass, aber es hat sich gelohnt! Viel kniefreundlicher und lustiger als hier runterzusteigen… Der Gipfel liegt schon Stunden hinter uns, als tatsächlich dann die letzte Gruppe funkt, sie seien nun oben. Mit uns war also niemand und nach uns ca. zehn Leute heute oben – was für eine Einsamkeit im Vergleich zum Villarica-Rummel!!
abwärts geht es auf dem Hintern
Laura gibt Gas
Toto räumt unser Refugio auf und kocht Risotto zum Mittagessen, während ich mich gleich auf den Abstieg zum unteren Militär-Refugio mache. Kurz vor selbigem holt mich Toto, danke seines Speed-Lavaabstieges wieder ein und wir genießen noch eine kurze Risottopause in der hier unten herrschenden Mittagshitze, bevor wir ins Tal eilen, um den einzigen Bus zu erwischen. Also eigentlich eilt nur Toto… ich bin mir sicher, dass wir es auch so schaffen. Toto rennt also und Laura stapft schon ziemlich erschöpft hinterher.
Irgendwann begegnet er einem Parkranger, der ihn fragt woher er kommt und dass er jetzt seinen Registrierungszettel sehen muss. Toto sagt, dass er ja bereits absteige, das schon 1000 Soldaten den Zettel kontrolliert hätten, der außerdem irgendwo tief im Rucksack stecke und ob er es nicht etwas spät fände das nun zu kontrollieren. Das ist ihm alles egal, er muss den jetzt sehen, aha. Toto ist sehr angefressen und hat den Typen schon längst als „Rasterlocke“, der uns vorgestern schon im Bus auf Grund seiner sozial auffälligen Art aufgefallen ist, identifiziert. Mürrisch kramt Toto den Zettel raus und fragt ihn ob er auch zum Gipfel geht oder ob er heute noch absteigt. Dass sei sein erster Tag, erzählt Bubi, er lerne heute nur den Weg kennen zum ersten Refugio und steige dann wieder ab. Oh Mann…
Als er mir wenig später begegnet, sagt er, dein Mann ist da unten. Aha, Toto erzählt fremden Jungs gerne, wir wären verheiratet. Ja, sage ich, sehe ich. Darauf sagt er: versucht bitte zusammen abzusteigen. Du hast schließlich kein Funkgerät. Die Idee ist, dass man mit dem Funkgerät Hilfe holen kann, wenn was passiert. Ich verzichte darauf ihn hinzuweisen, dass jeder Tagestourist in Turnschuhen ohne Funkgerät zum ersten Refugio gehen darf. Der Vortrag dauert einige Minuten und wird durch eine äußerst gewichtige Miene unterstützt. Auf die Frage, was ich denn jetzt machen soll, nachdem Toto da unten ist und ich hier oben bin und ich wohl jetzt wenig an dieser Situation ändern kann, fällt ihm auch auf, dass er vielleicht dem Falschen diesen Vortrag hält. Naja, sagt er, sag ihm, wenn du ihn siehst, dass ich das gesagt hab. Wenig später hören wir von oben einen Funkspruch, „Kuki“ wie er anscheinend heißt, funkt nach unten, dass er oben zwei Guides „enttarnt“ hat, die keine Registrierungszettel haben. Das Parkoffice funkt zurück, Guides haben nie einen Zettel. Kümmer dich nicht um die Zettel, konzentrier dich lieber aufs Müllsammeln! Oh Mann, wir müssen weinen vor lachen! „Kuki“ spielt sich wohl etwas auf an seinem ersten Tag, seine eigentliche Aufgabe ist tatsächlich Müll zu sammeln und nicht kluge Ratschläge zu verteilen. Naja, erheitert steigen wir den Rest ab. Toto sprintet irgendwann wieder auf Grund seiner unbegründeten Buspanik vor und will schon mal Rucksack und Zelt vom Parkranger holen. Dort, 5 Minuten vor mir, angekommen fragt der Parkranger, wo ist Laura? – Die kommt gleich. – Ohne Laura, kein Zelt!
Zerknirscht wartet Toto auf mich und verkündet mir, dass der Parkranger ihm nicht glaubt, dass ich noch lebe. Mit mir bekommen wir schließlich unsere Sachen zurück und warten noch eine halbe Stunde auf den Bus…
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