Höhenflug in Rattenkälte

Von Caraz geht es weiter nach Huaraz – entlang dem schönen Rio Santa. „Dank“ El Niño halten sich leider die Regenwolken permanent über den Schneebergen und so bleibt die sonst überragende Strecke für uns nur eine mittelmäßige Etappe. Die größte Abwechslung sind noch die teils skurrilen Wahlplakate. Huaraz ist der große Bruder von Caraz und wesentlich hektischer, hässlicher und touristischer. Statt einer Touristenagentur gibt es hier Dutzende, statt ein paar Hostals hunderte und statt Andentrachten sieht man überwiegend westlich gekleidete Leute auf der Straße. Wir profitieren bei einem neblig-kalten Ruhetag von der Infrastruktur und lassen es uns im super netten Café Andino bei belgischen Waffeln gutgehen und schmökern in Bergzeitschriften – echte Hüttenatmosphäre!

Haben wir probiert, hat nicht geklappt

Haben wir probiert, hat nicht geklappt – Hitler und Stalin sind hier ganz normale Vornamen

seriöse Wahlwerbung: Mach's wie Sonja, kreuz die Katzen an!

seriöse Wahlwerbung: Mach’s wie Sonja, kreuz die Katzen an!

Am nächsten Tag ist bei Aufbruch strahlende Sonne und wir freuen uns sehr, endlich wieder richtig in die Bergwelt einzutauchen. Es geht auf bestem Asphalt das Flusstal weiter hoch, bis sich die tiefe Senke zu einem flachen Hochtal ebnet. Heute gucken sogar die weißen Spitzen über die grasigen Hügel des Tals. Im Laufe des Vormittags ziehen sich dann aber die immer dunkler werdenden Wolken um uns zu. Als wir um zwölf Uhr Mittag am Abzweig in Pachacoto stehen, müssen wir die Regenponchos anziehen, denn die hier beginnende dirt road führt direkt in dichten Nieselregen.

Leider ist die Schotterstraße derart steil und schlecht befestigt, dass wir schon bald unsere Räder schieben müssen. Der Regen ist bitterkalt und das Tal eher fad. Frustriert und sauer auf El Niño – das Wetterphänomen, das gerade halb Südamerika durchnässt – kämpfen wir uns halbkilometerweise voran. Diesmal ist es Laura, die aufstecken und den nächsten Morgen im Zelt abwarten will. Sie hat aber noch nicht kapiert, dass man sich weinend auf den Boden werfen muss, um seinen Willen durchzusetzen und so schieben wir weiter. Auf einem Quad kommen uns zwei Ranger des Nationalparks entgegen, die uns erzählen in Kürze sei der Kontrollposten des Nationalparks erreicht und sie selbst kämen morgen früh um sieben auch wieder dorthin. Dort gäbe es auch ein Dach und wir könnten im Trockenen zelten. Zwei Stunden später haben wir die Häuser tatsächlich erreicht und sind auf ca. 4100 Metern Höhe. Unser Tagesziel 4300 Meter liegt in weiter Ferne, aber wir denken nicht mal daran, uns auch nur einen Meter mehr unter dem trockenen Vordach hervorzuwagen.

Abzweig mit einladender Wolkenfront

Abzweig mit einladender Wolkenfront

mystisch, aber leider arschkalt

mystisch, aber leider arschkalt

Klimawandelmuseum bei der Nationalparkstation Carpa

Klimawandelmuseum bei der Nationalparkstation Carpa

Vollkommen durchgefroren wärmen uns erst Nudelsuppe und Tee wieder ein wenig auf. Zu unserer Überraschung kommen bald darauf auch die Ranger wieder – anscheinend meinten sie sieben Uhr abends. Sie sind extrem freundlich und bieten uns an in einem freien Zimmer zu schlafen, da unser Zelt nicht auf dem Betonboden zu befestigen ist (Ausrüstungstipp: selbststehendes Zelt!). Im Aufenthaltsraum hat es zwar auch nur Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt, aber dank des wärmenden Tees ist es auszuhalten. Wir unterhalten uns ganz nett und gucken nebenbei Rambo 1-3. Die beiden kommen aus der Gegend und verbringen immer 20 Tage am Stück hier oben, um dann 10 Tage frei zu haben. Neben dem Betreiben des Kontrollpostens sind sie für die höhenkranken Touristen zuständig. 14 Tote habe es im letzten Jahr im Nationalpark gegeben – meist unvorsichtige Gringos, die ohne Führer Berge besteigen wollten, erzählen sie uns.

Dann legen wir uns in alle Klamotten gehüllt, die wir haben in unsere Schlafsäcke auf das weiche Bett und hoffen, dass wir die Nacht überleben. Zu unserem großen Erstaunen wachen wir nach einer Stunde wieder auf, denn es ist HEISS! Anscheinend isolieren Zimmer und Matratze erheblich besser als unser Zelt und so strampeln wir Lage um Lage im Schlafsack ab, bis sich im Fußraum der Schlafsäcke unser gesamter Kleiderstapel befindet.

Am Morgen haben sich Regen und Nebel verzogen und wir können sogar wieder bergauf ein Stück fahren. Hier wachsen die Puya Raimondii in eindrucksvolle Höhen und das Tal mit Bachlauf, Lagunen, grasenden Schafen und dahinter Nevados ist wirklich idyllisch. Leider bleibt die Straße abartig steil und erbarmungslos schlecht, so dass wir fast nur schieben – egal, denn dank Sonne und blauem Himmel sind wir frohen Mutes. Wir arbeiten uns Meter um Meter in die Höhe und auf dem Weg liegen auch ein paar Höhlenmalereien. Es wird immer frischer und gegen Mittag dann das altbekannte Spiel: Regenwolken – aber diesmal richtig. Es blitzt, donnert, nieselt und fängt dann an zu hageln. Nur nicht stehenbleiben, denn der Wind ist eisig und treibt uns die Hagelkörner und Schneeflocken ins Gesicht. Alle Bergidylle ist verschwunden, die Straße bedeckt sich mit weißen Körnern und erst wieder am ersten Pass (4820m) ist eine kurze Schneepause, die das etwas gezwungene Siegerfoto ermöglicht. Kurz hatten wir daran gedacht noch auf 5200 Meter zu einer Lagune mit Gletscher abzustechen, aber bei diesem Sauwetter ist daran beim besten Willen nicht zu denken.

Sonne auf dem Helm und im Herzen

Sonne auf dem Helm und im Herzen

beeindruckende Gewächse - Puya Raimondii

beeindruckende Gewächse – Puya Raimondii

Das Flusstal entlang

Das Flusstal entlang

Regenponcho zweckentfremdet - Laura kriegt den Schneeball ab

Regenponcho zweckentfremdet – Laura kriegt den Schneeball ab

der erste Pass auf 2.830m

der erste Pass auf 4.830m

Weihnachtsgefühle

Weihnachtsgefühle

Im Glauben, jetzt die lange Abfahrt nach La Union anzutreten, manövrieren wir die Räder frierend durch die sich verschlechternde Schotter- und Schlaglochpiste. Die Landschaft ist mystisch mit vielen Lagunen, gewundenen pinken Bachläufen, Schafherden und vereinzelten Schäferhütten. Allerdings staunen wir nicht schlecht, als es nach fünf Kilometern wieder senkrecht den Berg raufgeht. Haben wir uns verfahren? Was soll das? Ein Blick ins BikeBuch Lateinamerika bringt Gewissheit: wir hatten das Höhenprofil falsch im Kopf und uns erwartet noch einmal ein Anstieg auf 4883m! Laura hat blaue Lippen und bibbert vor sich hin. Sie hat Angst vor der Höhenkrankheit, denn wir sind auf 4640 Metern, aber es ist unmöglich, die Strecke ins Tal heute noch zu schaffen. So beschließen wir unser Zelt auf einem kleinen flachen Schotterstück neben einer Hirtenhütte aufzuschlagen. Wenigstens lichten sich jetzt die Wolken und im Zelt wird es sogar angenehm warm.

Moos- und Wasserwelt

Moos- und Wasserwelt

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Abendstimmung auf 4.640m

Abendstimmung auf 4.640m

Beim Abendessen haben sich tatsächlich fast alle Wolken verzogen und wir blicken über eine grandiose Bergkulisse. Nach Sonnenuntergang zeigt sich der wohl schönste Sternenhimmel bisher und es wird sehr schnell sehr frostig, so dass wir uns in die Schlafsäcke verkrümeln. Laura ist in ihrem dicken Schlafsack sowieso nie kalt und auch ich kann friere dank folgender Taktik nicht: zwei Paar dicke Socken, eine Unterhose, eine Radunterhose, eine lange Unterhose, eine kurze Hose, eine lange Hose, eine Regenhose, ein Merino T-Shirt, zwei long sleeves, ein Fleece, Armlinge, Tücher und dann ab ins Inlay und den Daunenschlafsack. Man fühlt sich zwar wie eine Mumie, bleibt aber warm.

Wir versinken gerade ins Reich der Träume, als es im Vorzelt eindeutige Trippelschritte macht. Einbrecher? Hunde? Wir leuchten nach draußen, aber es ist nichts zu entdecken. Aber draußen trippelt und nagt es unentwegt und schließlich sieht Laura graue Schatten hin- und herhuschen. Ratten … So sichern wir alle losen Gegenstände und legen uns wieder hin.

Nachts um drei wache ich mit hämmernden Todeskopfschmerzen auf. Schon abends hatte ich ein leichtes Ziehen und so bleibt keine andere Diagnose als: höhenkrank. Laura schlummert friedlich, also werfe ich Ibu und Dexamethason ein und wache morgens fröhlich und schmerzfrei auf. Die Sonne scheint und wärmt unser Zelt mit aller Macht. Ich schlüpfe aus meinen Hüllen, um das Schauspiel zu genießen. Wasserflaschen eingefroren, Räder voller Eiskristalle und die Lagune zugefroren, aus der wir gestern noch unser Nudelwasser geholt hatten. So kalt war es definitiv noch nie und umso besser, dass wir nicht gefroren haben.

Wer ist heute mit Kratzen dran?

Schatz, wer ist heute mit Kratzen dran?

Gefrierbeutel

Gefrierbeutel

Prost!

Prost!

der Himmel am Morgen!

der Himmel am Morgen!

Im Vorzelt liegt jede Menge Rattenkot, aber keine unsere Packtaschen ist durchgenagt. Sogar ein wenig Müsli für’s Frühstück haben sie uns noch übrig gelassen. Wir desinfizieren alles großzügig in der Angst vor akuten Nierenversagen duch Hantavirus – Mistviecher! Als alles wieder trocken und verstaut ist, kämpfen wir uns den langen Anstieg hoch. Die Pfützen sind noch gefroren, aber die Morgensonne wärmt uns und uns erwarten fantastische Ausblicke! Der Weg zieht sich auf ca. 4800 Metern entlang auf einem Kamm über 15 Kilometer und man blickt nach Süden zu den beschneiten Spitzen der Cordillera Huayhuash und nach Norden zu den Nevados der Cordillera Blanca. Endlich das Traumpanorama, auf das wir so lange gewartet haben!

Endlich flacher - und Aussicht!

Endlich flacher – und Aussicht!

Morgensonne - ah!

Morgensonne – ah!

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Hier oben ist die Landschaft extrem karg, aber die Blicke in die umgebenden Täler sind einmalig. Es ist auch längst nicht mehr so steil, da der Weg sich in angenehmen Wellen entlang des Bergrückens zieht. Verkehr sucht man hier vergeblich und an vielen Stellen sind große Felsbrocken aus den Hängen auf die Straße gestürzt, die wir umkurven. Kurz nach einer solchen Stelle gibt es einen gewaltigen Schlag und mit unglaublichem Getöse stürzen weitere Felsen den Hang herunter – gut, dass wir schon um die Kurve waren!

Wir freuen uns, dass sich der harte Weg hierher doch noch absolut gelohnt hat. Bald darauf haben wir den höchsten Punkt erreicht: 4.883 Meter – immerhin 73 Meter über dem Mont Blanc. Heute scheint es auch freundlicher zu bleiben und so genießen wir jeden Meter auf dem Höhenweg, bis wir in der Ferne die Asphaltstraße blitzen sehen. Wir kommen direkt auf dem Pass Abra Yanashalla auf 4700 m heraus und lassen unsere Räder wieder auf Asphalt nur so ins Tal rasen. Die schon lange auf der dirt road erwartet Abfahrt kommt erst jetzt – wir hätten das Höhenprofil besser studieren sollen!

auf 4.883 Metern

auf 4.883 Metern

yeeha! höchster Punkt

yeeha! höchster Punkt

Landschaft geformt von Wind, Kälte, Wasser und Minen

Landschaft geformt von Wind, Kälte, Wasser und Minen

der letzte Ziehweg zur Asphaltstraße

der letzte Ziehweg zur Asphaltstraße

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Bis … ja bis… ja BISS!! Diese widerlichen Hunde. Kommen auf uns zugerast und einer verbeißt sich in meiner rechten Packtasche und bringt mich bei Tempo 60km/h fast zum Stürzen. Mein Versuch die Köter mit Steinen zu erschlagen scheitert, führt aber wenigstens zum Rückzug. Der Besitzer nimmt es sportlich, blickt kurz auf die Tasche und sagt: ist doch nichts passiert. So bleibt es bei meinem Vorschlag, seine Tiere zu erschießen. Nachdem Lauras Packtasche neulich auch einen Biss kassiert hat und wir Blogs von anderen Radlern mit tatsächlichen Wadenbissen gelesen haben, scheint es tatsächlich so, als wäre Perus Hunde die bisher schlimmsten. Allerdings können wir später die herausragenden Ortliebtaschen nicht nur als absolut wasserdicht, sondern auch bissdicht würdigen!

Weiter geht es bergab durch ein fantastisches Flusstal mit teils senkrechten Felswänden. Die Landschaft ist unerwartet schön, trotz vieler Minen. Natürlich ist auch der Einfluss des leichten Gefälles auf unser Gemüt nicht zu unterschätzen – easy cycling. Schnell erreichen wir Huallanca, wo wir ein wohlverdientes Mittagessen genießen, bevor wir die letzten Kilometer bergab nach La Union rollen lassen. Die Minenstadt ist bitterarm und nicht gerade einer Architekturzeitschrift entsprungen. Während die zuführende Straße noch asphaltiert war, reihen sich nun ärmlicher Häuser an eine Staubstraße. Dennoch sind die Einwohner super freundlich und neugierig. Am besten gefällt ihnen der Kompass an unserem Rad. Um Zeit zu sparen und vielleicht doch noch dem schlechten Wetter zu entkommen, schnallen wir unsere Räder auf ein Colectivo.

kein Speichenbruch, kein Platter bisher in Südamerika - eine kleine Verneigung vor unseren Rädern

kein Speichenbruch, kein Platter bisher in Südamerika – eine kleine Verneigung vor unseren Rädern

Mine vor Huallanca

Mine vor Huallanca

ob's da weiter geht?

ob’s da weiter geht?

beeindruckende Felsdurchbrüche

beeindruckende Felsdurchbrüche

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Laura freut sich über die glatte Asphaltfläche

Laura freut sich über die glatte Asphaltfläche

Gruppenkuscheln auf dem warmen Asphalt

Gruppenkuscheln auf dem warmen Asphalt

bittere Armut auf der Abfahrt nach La Union

bittere Armut auf der Abfahrt nach La Union

Es geht über den Pass Corona del Inka in einer rasanten Fahrt nach Huánuco. Nach der angenehmsten Fahrt neulich ist das mit Abstand die Fürchterlichste. Der Typ gibt Zunder, als gehe es um sein Leben. Von Licht hält er nicht so viel und begnügt sich damit, kurz vor den Kurven sein Fernlicht kurz aufzublenden. LKWs werden mit Lichthupe bedrängt und dann links auf dem unbefestigten Seitenstreifen überholt. Laura versteckt sich hinter ihrer Sonnenbrille und stößt nur ab und zu panische Schreckenslaute aus, was den Fahrer noch mehr anstachelt. Wie durch ein Wunder erreichen wir Huánuco und nicht den Grund des steilen Tals.

Unser nächstes Ziel ist Cerro del Pasco – eine der höchsten Städte der Welt.

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